Der Plan ist, keinen Plan zu haben.

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Barbara Beiertz

foto: derkatastrophenschutzbus.com

Sie haben im Juli ihren Traum realisiert, sind „hauptberuflich“ Vagabunden und mit ihrem „Dicken“ (so nennen sie liebevoll ihr mobiles Zuhause) in Europa unterwegs. Posten wunderschöne Bilder von Sehnsuchtsorten, manchmal auch Nachdenkliches – oft mit einem Becher Kaffee in der Hand (jaja, es ist Mount Hagen). Mit ihnen unterhalte ich mich per Zoom, da sie gerade im Lockdown in Griechenland gestrandet sind.

B: Was ist diese Reise für euch? Eine Auszeit?
Jenni: Hm. Mehr schon der Reset Button: Einen ganz harten Cut machen und aus dem Alten ausbrechen. Und schauen, wie es sich entwickelt. Der Plan ist, keinen Plan zu haben.

B: Langweilt ihr euch da nicht – nach so einem durchgetakteten Berufsleben?
Jenni: (lacht) Nö.
Flo: Ich hab mich vorher auch gefragt: Was machst du denn dann die ganze Zeit?

Aber bis jetzt war’s noch nie langweilig.

Jenni: Die Tage verfliegen. Zeit vergeht schneller, wenn man etwas macht, was Spaß macht oder einem guttut. Der Tag ist viel kürzer geworden – und trotzdem voll.
Flo: Wir nehmen uns viel mehr Zeit zum Frühstücken, zum Essen und Essen-Vorbereiten. Wir setzen uns auch wirklich an den Tisch oder raus. Und nicht zur Serie schnell noch Abendessen machen.
Jenni: Und nicht auf dem Sofa schon fast einschlafen. Sondern bewusst am Tisch zusammensitzen und reden. Und essen. Na ja, allein unser 33-jähriger Bus, der könnte uns schon Vollzeit beschäftigen. Außerdem haben wir unsere Routinen: morgens das Bett zusammenschieben. Aufräumen, den Bus auskehren. In so einem kleinen Zuhause muss man viel mehr Ordnung halten. Sonst hast du binnen 2 Tagen ein Riesenchaos. Das nimmt schon mal mehr Zeit in Anspruch.

So sehen glückliche Kaffeefahrer aus.

So sehen glückliche Kaffeefahrer aus.

B: Und wie fühlt sich das an? Seid ihr glücklicher?
Jenni: Im Endeffekt leben wir jetzt bewusster – klar, es gibt noch Probleme. Dinge, die einen beschäftigen, an denen man knabbert, die einen umtreiben. Wir sind ja Menschen. Das Gefühl, sich über irgendetwas Sorgen zu machen – das können wir ja nicht abklemmen. Aber es fühlt sich alles leichter und freier an. Auch wenn wir hier im Lockdown festhängen, mit Ausgangssperre und Co.

B: Das ist wesentlich härter als in Deutschland…
Jenni: Ja, trotzdem fühlt es sich leichter an, hier jetzt so zu leben, wie wir hier leben.

B: Wie lange bleibt ihr? Was ist mit Weihnachten? Fahrt ihr zurück nach Hause – der Klassiker?
Jenni: Nein. Ursprünglich wollten wir ja jetzt schon im Iran sein. Wir sind jetzt erst mal 2 Jahre unterwegs. Und sollte nichts passieren – unsere Eltern sind natürlich auch schon älter –, bleibt das auch so. Die Eltern wären der einzige Grund, warum wir nach Hause zurückfahren oder -fliegen würden.

Sie nennen ihn liebevoll den „Dicken“, das rollende 5qm-Zuhause von Jenni und Flo.

Sie nennen ihn liebevoll den „Dicken“, das rollende 5qm-Zuhause von Jenni und Flo.

Unterwegs ist Zeit anders – sie bekommt mehr Raum.

Unterwegs ist Zeit anders – sie bekommt mehr Raum.

B: Wie kam es eigentlich, dass ihr entschieden habt: Wir müssen auf den Reset-Knopf drücken?
Jenni: Für mich war immer klar: Mit 40 will ich was ganz anderes tun. Jetzt, ok, Business, immer höher, immer weiter, schneller. Aber mit 40 will ich was anderes machen. Vor knapp 2 Jahren haben wir uns aber gefragt: Warum so lange warten? Wir waren immer unzufriedener, haben uns immer weniger damit identifizieren können…

Also wenn nicht jetzt, wann dann?

Flo: Uns ging’s gut – wir hatten keine Sorgen. Wir hätten auch einfach so weitermachen können. Es kam kontinuierlich Geld rein, aber es hat uns nicht erfüllt. Ich hab’ das, was ich gemacht habe, zwar gern getan, aber mich immer gefragt: Wieso mach’ ich das überhaupt? Ich stand nicht unbedingt hinter dem Produkt, für das ich da unterwegs war. Gäbe es nicht etwas Sinnvolleres, was ich machen könnte?

B: Wenn ich euch so anschaue – offensichtlich kann man. Zumindest fröhlicher. Ihr glaubt gar nicht, wie krass der Unterschied von euch zu den Leuten hier auf der Straße ist.
Jenni: Das merken wir auch. Wir kommen jetzt gerade aus einer anderen Lebensrealität: Für uns ist es einfacher. Weil wir den Raum – die Zeit – haben, alles zu reflektieren. Wir spüren das negative Mindset, wenn wir mit Leuten von zu Hause sprechen oder auch mit den Menschen hier. Vor allem aber spüren wir die Angst. Und Angst zerfrisst einen Menschen halt sehr schnell.
Flo: Bei uns gibt’s auch Tage, die nicht so gut laufen: Am Bus ist was kaputt oder irgendwas. Aber da ist keine Angst. Es ist einfach blöd gelaufen und nervig. Nichts, was man wochenlang, monatelang mit sich rumträgt und damit Angst hat. Was kontinuierlich Energie abzieht.
Jenni: Wir haben etwas, was viele nicht haben:

Wir haben die Zeit, uns und unsere Gefühle zu reflektieren.

Im normalen Alltag nehm’ ich alles auf und muss es direkt irgendwie verarbeiten. Jetzt können wir uns hinsetzen und überlegen: Ok, warum geht’s mir denn grad so? Warum fühl’ ich mich denn so? Und das hast du im Alltag sonst kaum.

B: Streitet ihr euch auch?
Jenni: Nie. (schallendes Gelächter) Wenn man auf 5 Quadratmetern zusammen ist, ganz geballt, dann streitet man sich automatisch. Weil der einzige Entladungspunkt der Partner ist. Es gibt Tage, da ist man schlecht drauf, da stört einen etwas. Und dann knallt es – und zwar richtig. Aber der Schlüsselpunkt ist: Am Ende des Tages vertragen wir uns wieder.

B: Wenn das mal nicht ein schönes Schlusswort ist. Ihr beiden, habt es gut – wir werden euch auf Instagram natürlich weiter verfolgen. Lasst von euch hören – und danke für das Käffchen mit euch.