Schlafräuber? Oder doch nicht?

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Barbara Beiertz

foto: anna rye von pexels

Heute morgen: Um überhaupt unfallfrei unter die Dusche zu kommen, war ein Kaffee im Bett zwingend nötig (hier ein Dank an meinen duldsamen Liebsten). Danach ein weiterer Kaffee, diesmal mit mehr Muße und Genuss. Ab an den Schreibtisch. Ein dritter, diesmal ein Cappuccino, als kleine Belohnung für die diversen sehr trockenen Recherchen zu Bio-Kaffeemarkt & Co. Ein vierter, Espresso, nach dem Essen. Nummer fünf und sechs nachmittags im Meeting.

Damit, sagt die Statistik, liege ich deutlich über dem Durchschnitt von 1,2 Tassen am Tag. In Luxemburg sind es übrigens 2,5 Tassen im Schnitt, aber auch das toppe ich locker. Ist das der Grund für mein angestrengtes Rotieren im Bett und die nahezu nicht vorhandenen Augen am Morgen? Vermutlich ja, wenn ich nach 17 Uhr noch mal die Maschine angeworfen habe. Kaffee bzw. sein Koffein hat eine relativ lange Halbwertszeit. Es dauert ca. sechs Stunden, bis es zur Hälfte abgebaut ist. Sprich, ich hätte um 23 Uhr einen halben Espresso im Blut, wenn ich um 17 Uhr noch einen getrunken hätte. Hab’ ich nicht. Werde ich nicht.

Wobei: Ein Espresso hat deutlich weniger Koffein als eine vergleichbare Menge Filterkaffee, was an der längeren Röstung liegt. Und: Mein Körper ist nun mal an ordentliche Dosen Kaffee gewöhnt. Und überhaupt: Alkohol und Nikotin sind viel „schlimmer“, sagen Forscher der Florida Atlantic University.* Wer raubt mir also den Schlaf wirklich?

Was ist eigentlich schlechter Schlaf?

Folgt man Albrecht Vorster, Schlafforscher am Universitätsklinikum in Bern, dann ist „schlecht schlafen“ kein Phänomen einer Nacht, sondern etwas, das mindestens eine Woche lang anhält.

„Ich führe auch gerade eine Studie mit Nachwuchsathleten im schweizerischen Tenero durch. Es scheint nicht unbedingt entscheidend, wie die Nacht vor dem Wettkampf war. Entscheidend ist vielmehr, wie jemand in der Woche vor dem Wettkampf geschlafen hat. (…) Das (Schlafen) ist wie bei der Ernährung oder beim Flüssigkeitsbedarf individuell. Es gibt Vieltrinker und Wenigtrinker. Genauso gibt es geborene Kurzschläfer, die ihr Leben lang mit fünf oder sogar mit vier Stunden Schlaf auskommen. Und es gibt Langschläfer, die eher so neun Stunden schlafen. Aber man kann sagen, dass 90 Prozent der Bevölkerung irgendwas zwischen sechs und neun Stunden Schlaf brauchen. (…) Ich bin ein Spättyp. Man kann mich natürlich auch um acht Uhr morgens an den Schreibtisch setzen. Das würde ich überleben. Aber ich bin einfach nicht so produktiv morgens um acht.“

Und wie hilft da Kaffee?

„Der (Kaffee) steigert die Konzentrationsfähigkeit. Lastwagenfahrer, die regelmäßig Kaffee trinken, bauen weniger Unfälle. Daher kann man ganz klar sagen: Kaffee ist etwas Gutes.“

Na bitte, mein Reden. Aber was ist jetzt meine Lösung gegen das Gerädertsein bzw. sich so zu fühlen. Herr Vorster hat da eine wunderbare Idee, wie ich finde. Er sagt:

„Schlaf und Ruhe sind menschliche Bedürfnisse. Wir schaffen Raucherecken, weil wir glauben, dass es ein Grundrecht des Menschen ist, zu rauchen. Aber es ist auch ein essenzielles Grundrecht, zu schlafen. Kein Arbeitgeber würde seinen Angestellten verweigern, zu trinken. Niemand würde sagen: ,Jeder darf nur einen halben Liter pro Tag trinken.‘ Aber beim Schlaf machen wir das im Prinzip so. Wir tun so, als bräuchte der Mensch tagsüber nie Schlaf. In Japan ist es komplett normal, dass man am Arbeitsplatz schläft. Das gilt als Auszeichnung. Es gibt sogar einen Begriff dafür, Inemuri. Das heißt: schlafen und doch anwesend sein. Wenn eine Person dort im Büro schläft, bedeutet das, dass sie so viel gearbeitet hat – bis zur Selbstaufgabe –, dass sie jetzt kurz schlafen muss, um danach wieder fit zu sein. Bei uns wird jemand, der schläft, als Faulenzer angesehen. Das sollte sich ändern.“**

Alles klar. Meine Siesta wird heute auf jeden Fall stattfinden (und der Espresso danach natürlich auch).

Quellen:
*www.netdoktor.de/news/von-wegen-kaffee-was-wirklich-den-schlaf-raubt/
**www.zeit.de/arbeit/2022-08/schlafforschung-produktivitaet-schichtarbeit-gesundheit-albrecht-vorster/komplettansicht