Über Bioanbau, Welternährung und Lösungen, die nicht schwarz-weiß sind.

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Barbara Beiertz

foto: wilhelm gunkel on unsplash

Die Landwirtschaft ist weltweit betrachtet ein Riesenproblem: Einerseits trägt sie eine Menge zu den Ursachen des Klimawandels bei, überdüngt Böden und Gewässer mit Stickstoff und Phosphor, dezimiert durch chemische Keulen die Vielfalt der Arten und vernichtet Moore, Urwälder, Savannen & Co. Andererseits gilt es die Menschen zu ernähren: Nach Schätzung der UNO lebten 2020 ca. 7,8 Milliarden Menschen auf der Erde. 2050, so rechnet man, werden es 9,7 Milliarden sein. Das sind fast 2 Milliarden Menschen mehr als heute. Menschen, die satt werden wollen und müssen. Wie soll das gehen?

Argumente.

Biolandwirtschaft ist, was die Qualität von Boden und Wasser angeht, deutlich im Vorteil gegenüber konventionellen Anbaumethoden. Auch die Nährwerte der Pflanzen sind meist signifikant besser. Von der Biodiversität ganz zu schweigen.* Das beweist u.a. ein seit 1980 laufendes agrarwissenschaftliches Experiment auf dem genossenschaftlichen Biobetrieb Birsmattehof in Oberwil im Schweizer Kanton Basel-Landschaft.

Aber – und dieses „Aber“ ist gewichtig: Die Erträge der Biohöfe sind heute im Durchschnitt ca. 20–25% geringer als in der konventionellen Landwirtschaft. Wollte man also eine weltweite Nur-Bio-Landwirtschaft im Jahr 2050 erreichen, müssten (Stand heute) die Ackerflächen um 37% vergrößert werden, so der Schweizer Agrarwissenschaftler Urs Niggli*, der von 1990 bis 2020 das Forschungsinstitut für Biologischen Landbau (FiBL) im schweizerischen Frick geleitet hat und als Experte von UNO-Generalsekretär António Guterres zum Welternährungsgipfel 2021 geholt wurde.

„Das wäre verheerend für die Natur, weil so riesige Flächen verschiedener natürlicher Lebensräume vernichtet und dadurch wohl auch die Artenvielfalt weiter dezimiert würde.“*

Aber (noch eins) so weiter machen wie bisher? Das macht ebenso wenig Sinn. Schon jetzt sind wir mit der Mischung aus viel konventioneller und wenig Ökolandwirtschaft an die Grenzen gekommen. 1,7 Milliarden Menschen mehr auf diese Weise zu ernähren – und das mit immer weniger Insekten –, funktioniert nicht. Allein schaffen es die Biobauern aber eben auch nicht. Also?

Weniger Fleisch essen?

Auf jeden Fall ist das ein Teil der Lösung. Kühe produzieren das Treibhausgas Methan und das hat wiederum einen großen Anteil am Klimawandel. Eine neue Studie der Columbia University „kommt zu dem Ergebnis, dass die Produktion, die Verteilung und der Konsum von Lebensmitteln bis zum Jahr 2100 immer noch rund 1°C zur globalen Erwärmung beitragen könnten“.** Verantwortlich dafür sind zu 60% „Methanemissionen, die vor allem aus Rülpsen und Dung von Nutztieren, Reisfeldern und sich zersetzenden Lebensmittelabfällen stammen“.**

Alles klar, könnte man sagen, dann werden die Weiden eben zu Hülsenfrüchteland. Zumal Soja, Linsen, & Co. auf der gleichen Fläche 20-mal mehr Proteine liefern als Fleisch.

„Für den Klimaschutz wäre das alles andere als eine gute Idee“, meint Urs Niggli.* Schließlich speichert das Grünland recht große Mengen Kohlenstoff, die bei einer Umwandlung in Ackerflächen als Treibhausgase freigesetzt würden. Und dadurch würden viel mehr Klimagase emittiert, als Methan aus Rindermägen entweicht. Niggli verweist auf Indonesien – ein trauriges Beispiel: „Dort wurden 100.000 Quadratkilometer Moorgebiete trockengelegt und in Palmölplantagen umgewandelt, die mehr Kohlenstoff als Klimagas freisetzen, als die gesamte Europäische Union emittiert.“* Ähnliches ist übrigens passiert, als in Argentinien und Brasilien riesengroße Savannenflächen, die als Rinderweiden hervorragend geeignet sind, in Sojafelder umgewandelt wurden (für Viehfutter – was für eine Ironie).

Kurz, argentinisches oder brasilianisches Rindfleisch ist keine Lösung, denn inzwischen werden auch dort die Tiere in ihren letzten 100 Tagen intensiv in sogenannten Feedlots (Mastboxen) mit Kraftfutter aus Mais, Soja und Getreide unter nicht artgerechten Bedingungen gemästet.****

Hier den Konsum zu reduzieren ist also definitiv ein notwendiger Ansatz. „Würden gesundheitsorientierte Empfehlungen weltweit angenommen, könnte die Welt 21% der prognostizierten, durch das Ernährungssystem bedingten Erwärmung vermeiden“, heißt es in der oben genannten Studie.**

Essen essen – nicht wegwerfen.

Wenn wir, die Verbraucher, unsere Lebensmittelabfälle um die Hälfte verringern würden, könnte man damit „bis zum Jahr 2100 (…) die erwartete Erwärmung um etwa 5% reduzieren.“** 2020 entstanden allein in Deutschland 11 Millionen Tonnen Lebensmittelabfälle! Wobei 59% von diesem riesigen Berg auf das Konto von uns Privatmenschen gehen. Kurz: Jeder von uns wirft im Durchschnitt 78 Kilo Lebensmittel pro Jahr weg.***** Oha!

Wenn ihr ein paar Anregungen braucht, was Lagerung und Resteverwertung angeht, schaut mal in den Artikel „Nie wieder Gammel“.

Natürlich schlummern auch in der Produktion, im Handel, in der Außer-Haus-Verpflegung ordentliche Sparpotenziale, aber der Löwenanteil liegt wirklich bei uns Konsumenten.

Aber…

Wie man sieht, gibt es (wie so oft) nicht DIE Lösung. Ebenso klar ist allerdings, dass die Landwirtschaft selbst den größten Hebel für Veränderungen in den Händen hält. Wenn man das bereits vorhandene Ackerland möglichst optimal nutzen würde, dann läge der Fokus nicht mehr auf Düngen und Unkraut- sowie Schädlingsbekämpfung, sondern auf der Bodenstruktur, der Bodengesundheit. Die Biolandwirtschaft hat hier ein sehr gut funktionierendes System mit 7 Fruchtfolgen, Mixed Cropping und der Fusion von Tierhaltung und Ackerbau. Warum übernimmt die konventionelle Landwirtschaft das nicht „einfach“?

Ein Computermodell des Schweizer Instituts*** hat errechnet, dass 60% Bioanbau plus 40% konventioneller Anbau „am besten Ökosystem- und Naturschutz (…) und die zuverlässige Versorgung von bald zehn Milliarden Menschen mit ausreichend gesunder Nahrung“ unter einen Hut bekommen würde. Zur Einordnung: 2021 hatte der Bioanbau einen Anteil von sage und schreibe 5% der weltweiten landwirtschaftlichen Anbauflächen (Quelle: Statista). Da wären 60% Bioanbau ein Riesenschritt. Wobei wir natürlich froh wären, wenn die Biolandwirtschaft noch viel weiter ausgebaut würde. Aber das ist unsere ganz persönliche Ansicht.

Damit solch eine Entwicklung aber überhaupt in die Gänge kommt, ist eines zwingend: „Statt wie bisher die Einkommen zu subventionieren, müssten wir zum Beispiel Biodiversität, Bodenfruchtbarkeit, Klimaziele oder artgerechte Tierhaltung fördern, die in der Marktwirtschaft keinen Preis haben“. Und aufhören „zu streiten, sondern unsere Kräfte auf das Ziel bündeln, die Menschheit gesund und nachhaltig zu ernähren.“ Sagt der Agrarforscher Urs Niggli. Klingt überzeugend. Oder? Was denkt ihr darüber? Wir freuen uns auf eure Kommentare.

*www.spektrum.de/news/agrarwirtschaft-kann-biolandwirtschaft-die-menschheit-ernaehren/1895644
**www.yumda.de/news/1179788/neue-studie-globale-ernaehrungssysteme-koennen-dazu-fuehren-dass-die-welt-die-temperaturziele-ueberschreitet.html
***www.nature.com/articles/s41467-017-01410-w
****https://www.oekotest.de/essen-trinken/Warnung-vor-Rindfleisch-aus-Uebersee-_10727_1.html
*****www.bmel.de/DE/themen/ernaehrung/lebensmittelverschwendung/studie-lebensmittelabfaelle-deutschland.html