Kaffee ist ein wundersamer Katalysator für Gespräche. Er inspiriert. Öffnet den Kopf, das Herz (und Münder), überbrückt Gegensätze.
Natürlich weiß ich das, und doch überrascht es mich immer wieder: wie persönlich, intim und nah manchmal ein Käffchen mit… wird. So geschehen im vergangenen Jahr, als ich das Vergnügen (und das meine ich wörtlich) hatte, mit Maritta Stille zu sprechen, der Gründerin der Aktion Kulturland.
Eigentlich möchte diese ebenso resolute wie kluge und sehr feine Frau nicht im Mittelpunkt stehen, dabei ist sie Initiatorin, jahrelanger Motor und treibende Kraft dieser Stiftung. Aber natürlich halte ich mich an das Versprechen, die zum Teil recht privaten Inhalte unseres Gesprächs hier nicht wiederzugeben. Das ist der Grund, warum hier ausnahmsweise mal kein komplettes Interview erscheint – mit dieser mutigen Dame, die es schon Ende der 80er-Jahre geschafft hat, ökologische Landwirtschaft, Naturschutz und soziale, kulturelle Entwicklung miteinander zu verbinden.
Aber von Anfang an:
Wir sitzen also in einer kleinen, idyllischen Remise irgendwo auf dem Land bei Angeln, nahe der Ostsee, der Regen prasselt auf das Glasdach – sehr norddeutsch – und ich versuche zu verstehen, was das Prinzip hinter der Stiftung Aktion Kulturland ist:
Die Basis sind Rudolf Steiners Thesen:
„Boden, Arbeit und Produktionskapital aus dem Marktgeschehen auszugliedern und durch selbst verwaltete Körperschaften zu verteilen und einzusetzen, um das gesellschaftliche System von seinen verhängnisvollen Spannungen zu befreien.“*
Heißt kurz übersetzt:
• Der Boden gehört allen. Also hat jeder Mensch einen gleich großen Anteil Erdoberfläche. Einen ähnlichen Gedanken inklusive seiner Konsequenzen hat Eckart von Hirschhausen in einem 3-Minuten-Film über „Das persönliche Feld“ ganz plakativ dargestellt.**
• Die Nutzung des Bodens sollte also sinnvoll für alle sein – gemeinnützig. Damit stehen ökologische Landwirtschaft, Naturschutz, gemeinschaftliche Zusammenarbeit im Fokus. Und nicht individuelle wirtschaftliche Überlegungen à la „Bio ist hip, also machen wir jetzt mal eben Bioanbau“.
• Daraus folgt: Höfe müssen „freigekauft“ werden, um sie aus der familiengebundenen Vererbung (das ist tatsächlich immer noch so) herauszubekommen. Und den rein wirtschaftlichen Zweck in einen gesellschaftlichen Nutzen umzuwandeln.
Uff. So weit. So gut.
Steiners Theorien sind zwar inzwischen gut 100 Jahre alt, polarisieren erheblich und sind nicht zuletzt wegen Rassismus- und Antisemitismus-Vorwürfen immer wieder in der Diskussion (hierauf länger einzugehen würde definitiv den Rahmen sprengen), aber eins ist klar: Seine Gedanken zur Landwirtschaft sind ganz und gar nicht veraltet.
Genau hier setzt die Stiftung an:
Sie kauft zwar keine Höfe frei – dafür reicht das Stiftungsvermögen nicht. Aber sie ist der Rechtsträger, wenn Höfe gestiftet („freigeschenkt“) werden, um sie in die Gemeinnützigkeit umzuwandeln und Pächtern für die ökologische, soziale und kulturelle Entwicklung zur Verfügung zu stellen. Was selbstverständlich auch von der Stiftung begleitet wird. Außerdem ist sie aktiv im Erwerb von Flächen, die dann den Höfen für eine naturschützende Bewirtschaftung übergeben werden.
Alles klar?
Aber wie kam es überhaupt zu der Idee eine Stiftung zu gründen?
„Geld ist etwas Belastendes, Geld ist etwas, was den Charakter verderben kann...“:
Die Betonung liegt auf „kann“. Maritta Stille ist das auf jeden Fall nicht passiert. Ein Familienerbe, das ihr Mitte der 80er-Jahre zufiel, passte nicht – so gar nicht – in ihr Leben, geschweige denn zu ihrer Philosophie. Und nun? Der „Zufall“ in Form eines Steuerberaters brachte sie – und all ihre Ressentiments, Zweifel, Ideen – in Kontakt mit der GLS Bank beziehungsweise der dazu gehörenden Treuhandstelle.
Einen Kaffee nebst Keks später erzählt Maritta Stille:
Wir haben drei Jahre gebraucht, um ein Konzept und dieses Stiftungsmodell auf den Weg zu bringen, mit führenden Mitgliedern aus der GLS Bank und mit ganz großen Koryphäen***. Das war für mich schon ein Gewinn höchsten Grades, also mit diesen Menschen zusammenzuarbeiten war schon ein Erfolg. … Wir sind eine Sammelstiftung, da gibt es ein Gründungsvermögen, und danach muss sich das Vermögen aus sich selbst ernähren. Es gibt ja andere, berühmte Stiftungen, wo der Gründer immer wieder etwas hineinsteckt. Das kann ich gar nicht, ich habe das Vermögen abgegeben.
Das heißt, wir arbeiten seit 1987 zum größten Teil ehrenamtlich, was zunehmend ein Problem wird, wenn man junge Menschen hinzusucht, sie begeistern möchte, weil sie ja alle Familien und Kinder haben und nicht so viel Zeit dafür aufwenden können neben ihrem Beruf.
Aber wir haben das Glück, hier in Schleswig-Holstein schon seit – ich weiß nicht, wie vielen –Jahren Kooperationspartnerin vom Land Schleswig-Holstein, vom Umweltministerium und den anderen Akteuren im Natur- und Landschaftsschutz zu sein. Wir werden so unterstützt, das ist unglaublich.
Am Anfang war es noch so, dass wir bei Projekten, in denen ein Flächenankauf für den Naturschutz gefördert wurde, 10% Eigenanteil aufbringen mussten. Das war sehr viel. Wir brauchten Spenden und Eigenmittel dafür. Heute gibt es hier 100%-Förderungen, wenn auch nur für Fremdkosten. Die gesamte Verwaltung, Planung und Betreuung liegt hier bei uns im Vorstand. Ohne diesen politischen Willen der Regierung hätten wir nie so positiv weiterarbeiten können – aber das ist Schleswig-Holstein. In Niedersachen haben wir auch Höfe, und da halten sich die Flächenkäufe in Grenzen, das können wir nicht normal auf dem Markt ankaufen.
Es sei denn, es gibt einen Spender bzw. eine Spenderin. Es sind ja vorwiegend ältere Frauen, die ein bisschen weiterdenken. Manchmal auch Ehepaare, aber ich weiß, dass die Frauen da wahrscheinlich die treibende Kraft sind.
B: Wie kommt das?
M: Die haben ein anderes Bewusstsein, ganz klar.
B: Denken Frauen mehr in die Zukunft?
M: Ja. Und auch, was die Erbschaften angeht und das Weitergeben. Das mag vielleicht an dieser männlichen Struktur liegen, dass die Männer so erzogen wurden, dass sie Jäger und Sammler sind und ihr Vermögen für die Sicherheit brauchen.
B: Aber Sie haben die Stiftung mit Ihrem Mann gemeinsam gegründet und vorangetrieben?
M: Ich war schon immer so ein Rebell und das Glück war, dass ich meinen Mann gefunden habe. Wir waren echt unschlagbar. Leider ist er 2019 gestorben, und selbst der Pastor in der Kirche hat gesagt, dass wir eine Symbiose waren. (Inzwischen hat übrigens Tochter Paula die Geschäftsführung übernommen.)
Die viele Arbeit, das Ringen um Entscheidungen, Menschen, Themen, Ideen und Finanzierungen, fordert viel von uns. Aber zu sehen, was da entsteht, auf den Höfen, in den Gemeinschaften und in den Naturschutzprojekten, das macht uns glücklich und fühlt sich an wie ein Geschenk.
B: Ich denke, da sind Sie ein großes Vorbild. Was würden Sie der Generation von Fridays For Future sagen, wie sie es schaffen können, auch jenseits der Demos etwas zu tun?
M: Eigentlich möchte ich nicht mehr irgendjemanden motivieren, auffordern, irgendwas zu tun, das haben wir unser Leben lang gemacht und immer wieder Wege bereitet. Mit 80 will man das nicht mehr, und ich gebe keinen Ratschlag mehr, auch meinen Kindern nicht.
B: Ja…?
M: (schmunzelt) Das hat was mit Weisheit zu tun im Alter. Man mischt sich nicht mehr ein, man guckt zu, hält den Mund und beobachtet. Das hat nichts mit Passivität zu tun, denn der Kopf wird ja mit 80 immer agiler, es ist unglaublich. Dein Körper immer zerbrechlicher, aber der Kopf… Aber keinem dieser jungen Menschen – und es sind unglaublich tolle Menschen, die da auf den Demos sind, – würde ich etwas sagen, es sei denn, sie fragen mich.
Diese jungen Menschen sind so gut drauf und haben alle Möglichkeiten, sich zu informieren. Alle. Die hatten wir ja nicht. Und die sind so plietsch-fleißig. Auch wie sie nicht in die Fänge gehen… Also ich habe Interviews gehört mit unterschwelligem Hass und mit Fallstricken – und wie die da rauskommen, krass. Toll, die gehen alle aufrecht. Haben Haltung.
B: Die sehe ich aber auch bei Ihnen…
M: Ach, wir haben ein Alleinstellungsmerkmal. Dadurch, dass wir diese Kombination haben aus Land, Boden und Höfen – da traute sich keiner ran, das hatte bisher keiner in Deutschland.
Die Stiftung Kulturland hat in den letzten 30 Jahren gezeigt, wie erfolgreich das Konzept „Gemeingut Boden“ funktioniert.
Nicht nur, weil sie ambitionierten Menschen den Einstieg in die Landwirtschaft und das Verwirklichen ihrer Ideen und anderer Lebensformen ermöglicht. Es entstanden (und entstehen) vielseitige Biohöfe mit unterschiedlichen Schwerpunkten, die sich auf ihre Umsetzung von ökologischem Landbau konzentrieren können (ohne den „Druck des Eigentums“), die Natur erhalten und eben nicht deren Ressourcen maßlos ausnutzen. Von den unzähligen Naturschutzprojekten der Stiftung mal ganz zu schweigen. (www.aktion-kulturland.de)
Ich habe mich gefragt, ob sich dieser Gedanke des Gemeinnutzens auch auf andere Branchen – um nicht zu sagen: die Wirtschaft – ausdehnen ließe.
Die Antwort ist: Ja klar. Wie denn sonst?!
Mit der Bilanzierung nach Gemeinwohl-Ökonomie-Standards**** zum Beispiel. Sie misst Erfolg eben nicht nur in „Geld“, sondern auch mit Kennzahlen für sozialen und ökologischen Nutzen. Was mal ein wirklicher Gewinn für alle wäre. CO2-Einsparung, Biodiversität, Bewältigung von Ressourcenknappheit – das alles kann nicht ohne aktives Zutun und Umdenken in „der Wirtschaft“ funktionieren. Instrumente dazu gibt es einige.
Sie zu nutzen ist allerdings eine Frage der Haltung, des Muts.
* Aus: Rudolf Steiner: Dreigliederung des sozialen Organismus, 1919
** Eckhart von Hirschhausen: Das persönliche Feld
*** Gemeint sind z.B. Joachim Bauck und Wilhelm E. Barkhoff
**** Gemeinwohl-Ökonomie:
https://web.ecogood.org/de/ bzw. https://www.ecogood.org
Und auch zum Thema „Geld ist nicht alles“ gibt es einen ganz anschaulichen Film.