Ehemalige Immobilienwirtin, seit 2018 Social Entrepreneurin in Hamburg. Hunderetterin. Kalt duschende Frühaufsteherin. Und bekennender Mount Hagen Heavy User. Mein Zoom-Kaffeeplausch mit Nadine Herbrich von reyclehero.
B: Liebe Nadine, wie schön, dass du dir Zeit nimmst für einen Kaffee mit uns. Magst du dich und „recyclehero“ einmal kurz vorstellen?
N: Na klar. 2018 habe ich mit meinem Mitgründer Alessandro recyclehero ins Leben gerufen. Wir sind ein Lastenrad-Abholservice für recycelbare Wertstoffe, holen Altglas, Altpapier, Pfandflaschen bei B2B- und bei B2C-Kunden ab und übernehmen die letzte Meile der Abfallwirtschaft. Von der Türschwelle bis zum Container oder Recyclinghof .
Wie machen wir das? So, wie es unseren Wertvorstellungen entspricht: klimafreundlich mit Schwerlasträdern. Mit gesellschaftlichem Mehrwert, indem wir vorzugsweise sozial bzw. finanziell Benachteiligte anstellen.
Recycling ist an und für sich ein heißes Thema. Wir wollen es mehr ins Bewusstsein bringen, die Quote erhöhen. Aber bei allem Idealismus: Wir sind auch ein „ganz normales Unternehmen“, das eine Dienstleistung erbringt, die Geld kostet. Wir wollten keine NGO sein, sondern eine Firma, die Impact generiert, indem sie einen Zweck erfüllt: nämlich eine Dienstleistung, die Erleichterung verschafft und gleichzeitig Mehrwerte aufbaut.
Das vegane Immobilienhai-Doppelleben.
B: Wie ist die Idee entstanden? Du hast angedeutet, dass du früher etwas ganz anderes gemacht hast.
N: Ich komme ursprünglich aus der DDR, meine ganze Familie ist davon sehr geprägt. Mir wurde nicht mitgegeben: Probier’ alles aus und finde, was dir Spaß macht. Sondern: Mach was Vernünftiges. Aber: Bei mir gab es schon immer, immer den Tierschutz. Dann wollte ich vegetarisch leben, irgendwann wurde vegan draus. Und das auf dem Dorf (sie lacht).
Ich hab tatsächlich was „Vernünftiges“ studiert: Immobilienwirtschaft. War im Ausland, hab sechs Jahre in der amerikanischen Beratung gearbeitet. Diese Business-Seite kennenzulernen war total wichtig: in Hierarchien arbeiten, Vertragsverhandlungen usw. Privat habe ich mich aber weiter für Tier- und Umweltschutz eingesetzt, Demos mitorganisiert – quasi ein Doppelleben, weil mir beides wichtig war.
B: Als veganer Immobilienhai…?
N: (grinst) Es war wirklich sehr witzig, aber irgendwann habe ich mich gefragt: Verdammt, was mach’ ich hier eigentlich? Klar, ich hätte immer weiter und mehr verdienen können, ich hatte eine schöne Wohnung in München, einen Firmenwagen… Aber eben auch das Gefühl, irgendwas läuft schief. Eine Mischung aus Angst, sich nicht zu folgen und andererseits alles auf eine Karte zu setzen und dann irgendwann in Altersarmut zu enden. Sehr ambivalent und skurril.
Anfang 2017 haben wir, Alessandro und ich, beschlossen: Wir kündigen, hauen erstmal ab, reisen und gucken, was wir vielleicht machen können. Etwas später, im Sommer 2017, ist die Idee zu recyclehero entstanden. Auf einem Gründerwettbewerb haben wir das ganz grob vorgestellt und: gewonnen! Bekamen also von der fachkundigen Jury quasi den Das-könnte-funktionieren-Stempel. Wir sind trotzdem losgereist mit einem Camper durch Europa, haben währenddessen aber mit allen möglichen Social-Entrepreneur-Unternehmen gesprochen. Um zu sehen, wie andere da rangehen. Und auch, um sich von diesem Lebensmodell, was man haben-sollen-müsste, zu verabschieden. Ein ganz wichtiges Detail dabei: Wir kamen nicht allein zurück. In Griechenland haben wir einen Hund im Wald gefunden, adoptiert – und nun ist Viko hier bei mir.
foto:
Marc Strand / BildVerstaerker
foto: Marc Strand / BildVerstaerker
Nach unserer Rückkehr, im April 2018, lief dann alles parallel. Mal hat Alessandro Vollzeit gearbeitet, mal ich: berufsbegleitende Pilotphase. Ein Jahr später hab ich gekündigt, über Crowdfunding wurden drei Räder finanziert, und ich war erstmal nur für recyclehero unterwegs. Das war schon eine ordentliche Veränderung: Auf der einen Seite Freiheit und auf der anderen… Glaubt man gar nicht, was man alles zu tun haben kann. Jetzt sind wir beide in Vollzeit bei recyclehero und müssen richtig Gas geben, damit wir das erreichen, was wir uns vorgenommen haben.
B: Was ist für dich das Tollste daran?
N: Dass wir so viele Touch Points haben zu den Themen, die uns wichtig sind. Im Grunde geht ja gerade alles in diese Richtung. Die Aufmerksamkeit der Leute für Nachhaltigkeit verstärkt sich, die regulatorischen Voraussetzungen verändern sich, wir können diese sozialen Themen, das Recycling, die klimafreundliche Logistik in Städten voranpushen. Es gibt keine bessere Zeit dafür als jetzt. Und das macht halt Spaß: zu gestalten, zu entwickeln, zu gucken, was gibt es an Möglichkeiten.
„Sachen bewegen zu können
ist ein großes Geschenk.“
N: Mein großes Learning ist: Selbst, wenn man nicht so erzogen wurde, du kannst wirklich alles machen. Ich kann alles sein. Und ich kann Sachen bewirken. Natürlich ist man nie mit sich zufrieden und fragt sich: Kriege ich das hin? Aber Sachen in Bewegung setzen zu können, das ist tatsächlich ein großes Geschenk.
B: Hat sich dein Verständnis von Zeit seitdem geändert?
N: Total. Ich wäge sehr genau ab, wann ich mir für was Zeit nehme. Priorisieren ist sehr wichtig geworden, aber auch Zeit, sich selbst zu pflegen: Ich hab tatsächlich Blöcke dafür in meinem Kalender eingerichtet:
„thinking time“.
Auch wenn sie oft nicht einhalte, um Sachen zu verarbeiten, ist diese Zeit total wichtig. Einfach nichts tun, nur Löcher in die Luft starren. Manchmal ist es das Beste, was man machen kann, um sich zu sortieren.
Für mich ist Arbeit nicht nur Arbeit, das ist auch Leben.
B: Ein Blick zurück: Was würdest du deinem jüngeren Ich sagen?
N: Zwei Sachen. Hab keine Angst, hör auf das, wofür du brennst, und versuch, was draus zu machen. Lass dich nicht abschrecken. Das ist das eine. Punkt 2: Fang früh an zu sparen…
B: Wirklich?
N: Sagen wir es so: Fang früh an, bewusst mit Geld umzugehen, damit du im Zweifel die Freiheit hast, eigenständige Entscheidungen zu treffen, und nicht abhängig bist vom Job. Geld ist Freiheit – am Ende des Tages dann doch. Ich glaube, es würde Frauen auch heute manchmal deutlich besser gehen, wenn sie einfach unabhängiger wären.
B: Apropos „besser gehen“. Was brauchst du morgens, damit es dir gut geht? Dein Morgenritual?
N: Das ist einfach: 5:30 Uhr, 6:00 Uhr aufstehen. Der erste Gang ist zu meinem Handkaffeefilter, da kommt Mount Hagen Arabica rein (wirklich, das ist keine Dauerwerbesendung… Anmerkung d. Red.). Ich mache mir dann diesen Becher (er ist riesig… 2. Anmerkung d. Red). Damit marschiere ich Richtung Hund, hänge mit ihm auf dem Sofa ab und komme im Tag an. Manchmal denkt man ja schon beim Aufstehen: scheiße, scheiße, scheiße. Ich gucke dann: Gibt es einen Grund dafür? Nein! Also entscheide ich mich gegen Panik und für Das-wird-ein-richtig-guter-Tag. Danach duschen, inklusive kalt, und im besten Fall sitze ich um 6:30 Uhr am Schreibtisch.
Später nochmal mit dem Hund rausgehen – und dem Kaffeebecher (sie lacht). Wenn ich diszipliniert und klar starte, und dazu kommt ungelogen immer der Mount-Hagen-Kaffee mit, dann läuft das. Das ist jetzt seit 2 Jahren mein Lieblingskaffee. Davor bin ich nie bei einer Kaffeemarke geblieben, wirklich…
B: Gibt’s ein besseres Schlusswort? Liebe Nadine, ganz herzlichen Dank, auch für deine Offenheit.
N: Wahrscheinlich hätte ich vor einem Jahr anders mit dir geredet (sie schmunzelt). Aber ich glaube, wenn man offen spricht, wenn man sieht, es gibt Leute, denen geht es genauso, dann macht das Mut.
B: Das ist die Idee von „Käffchen mit…“ Ganz lieben Dank.
Wer mehr über recyclehero und seinen grünen Service wissen möchte: einfach mal hier schauen recyclehero.de
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Geheimtipp Hamburg / Lisa Knauer