„Der Kopf ist rund, damit das Denken die Richtung wechseln kann.“ (Francis Picabia)

„Der Chemex ist der ultimative Filterkaffee!“ „Völliger Unsinn, der Porzellanfilter ist der Klassiker, der muss her!“ „Das ist so oldschool!“ „Nein!“ „Doch!“ „Oh, Mann…!“ Gespräche über, mit, beim Kaffee waren immer schon sehr angeregt – besonders bei uns in der Redaktion.

Picture of Barbara Beiertz

Barbara Beiertz

foto: michael bernhardi

Das Kaffeehaus – ein rebellischer Ort.

Es heißt, dass die ersten Kaffeehäuser, die um 1550 in Konstantinopel entstanden, Treffpunkte für Gelehrte und Weise waren, die hier, angeregt durch das Koffein, kulturelle, politische und philosophische Ideen so lebhaft ausfochten, dass die Häuser wegen des aufwieglerischen Gedankenguts geschlossen wurden. Das ist zwar heute nicht mehr so, aber beim Kaffee entstehen immer wieder die spannendsten Unterhaltungen.

Warum das so ist, also die eher naturwissenschaftliche Seite, Koffein & Co., wollen wir jetzt hier nicht erläutern, das haben wir in einigen anderen Blogbeiträgen schon getan. Zum Beispiel in „Kaffee am Morgen vertreibt Kummer und Sorgen“, „Kaffee und Sport – wie passt das denn?“ und „Wie gesund ist Kaffee eigentlich?“.

Uns geht es gerade mehr um die Fähigkeit, Dinge aus unterschiedlichen Blickwinkeln betrachten zu können – das, was eben beim gemeinsamen Kaffeeplausch so oft passiert.

Betrachten wir Kaffee von einer anderen Seite. Oder: Wie geht eigentlich Perspektivwechsel?

Die Realität ist sehr komplex. Wie angenehm ist es da, wenn man dank einer Ideologie einfache Erklärungen parat hat (und sich dahinter verschanzen kann). Aber die Welt ist nun mal nicht schwarz oder weiß, es gibt jede Menge Grautöne – aka Sichtweisen aka individuelle „Realitäten“ – dazwischen. Weshalb Lösungen für die anstehenden Probleme unserer Zeit eben genauso vielfältig sind – und sein müssen.

Neulich erklärte mir ein Firmenchef seine Methode für unternehmerische Entscheidungen: „In unserem Führungskreis kann/darf/soll jeder seine Ansicht eines Problems darlegen, damit wir einen möglichst umfassenden Blick auf die Angelegenheit bekommen. Erst dann trifft der jeweilige Ressortleiter seine Entscheidung.“ (Übrigens meist beim Kaffee, hieß es.) „Das dauert manchmal lange, nimmt aber alle Abteilungen mit und spart auf dem Weg der Umsetzung dann wieder Zeit.“

Klingt gut. Aber wie soll man als Einzelner im medialen Nachrichtenoverkill mit seiner Sensationslust und all den Fake-News den Überblick bekommen, geschweige denn behalten?

Unser Tipp: Kaffee trinken. Im Ernst, mit Menschen direkt zu sprechen (beim Kaffee nämlich) hilft. Also nicht (nur) digital kommunizieren, sondern real. Weil man dann viel eher Empathie entwickelt – die Fähigkeit, sich in sein Gegenüber hineinzuversetzen. Was wiederum die Basis von Respekt für andere Meinungen ist. Und von Debattenkultur. Klar braucht man dann immer noch die Fakten, aber wenn es einem gelingt, sie nicht nur aus seiner Blase zu bekommen, sondern ab und zu die Perspektive zu wechseln und vielleicht auch mal die Sicht aus dem Ausland wahrzunehmen, dann ist schon eine ganze Menge gewonnen.

„Der Kopf ist rund, damit das Denken die Richtung wechseln kann.“

Dieses Zitat des französischen Künstlers Francis Picabia entstand übrigens in einer Zeit, als die Welt wirklich in Trümmern lag (1916) – und so erfand sich eine junge Künstler-Bewegung komplett neu, indem sie alles anders machte als bisher: Dada* wurde geboren. Picabia wurde von seinem Freund Marcel Duchamp als „der größte Vertreter der Freiheit in der Kunst“ beschrieben. Vielleicht sollten wir einfach ab und zu mal den Kopf ein bisschen kreisen lassen – das entspannt ungemein.

Und mit einem richtig guten Kaffee dazu (ob aus der Chemex, dem Porzellanfilter oder der Maschine), sieht die Welt dann schon wieder ganz anders aus.

*Dadaismus oder auch Dada war eine künstlerische und literarische Bewegung, die 1916 von Hugo Ball, Emmy Hennings, Tristan Tzara, Richard Huelsenbeck, Marcel Janco und Hans Arp in Zürich begründet wurde und sich durch Ablehnung „konventioneller“ Kunst und Kunstformen – die oft parodiert wurden – und bürgerlicher Ideale auszeichnet. Vom Dada gingen erhebliche Impulse auf die Kunst der Moderne bis hin zur zeitgenössischen Kunst aus. (Wikipedia)