Luxus. Plörre. Luxus.

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Karsten Suhr

foto: pariwat pannium on unsplash

Als ich neulich mit Freunden beim Kaffee saß und ein klitzekleines bisschen mit meinem „Expertenwissen“ glänzen wollte – ertappt! „Was ist eigentlich die 1st und 2nd Wave gewesen, da doch alle von der 3rd Wave sprechen?“ Hm. Ja. So ganz erschöpfend konnte ich es dann doch nicht erklären. Also: Kaffeekochen, Hausaufgaben machen (heißt: recherchieren) – und hier ist die Geschichte vom Aufstieg und Fall und erneutem Aufstieg des Kaffees zum ultimativen Genuss.

Die Sozialisierung des schlechten Geschmacks.

In seinen Anfängen war Kaffee schwarzes Gold. Ein Luxusgetränk für Adlige und Reiche. Der Anbau-Monopolist war das damalige Osmanische Reich, was natürlich seinen Status erhalten wollte und seine Pflanzen hütete wie die Kronjuwelen. Aber wie so oft: Kriminelle Energie lässt sich nicht bremsen. Die europäischen Kolonialmächte ließen Setzlinge stehlen, der Anbau dehnte sich auf Mittel- und Südamerika aus. Als schließlich im damals portugiesischen Brasilien der Kaffee heimisch wurde, war das der Durchbruch. Kaffee war zwar noch kein Massenprodukt, aber die ersten Kaffeehäuser etablierten sich.

Parallel zur Industrialisierung wurde Kaffee dann mehr und mehr zum Alltagsbegleiter. Allerdings nicht als Genuss, sondern als Hardcore-Koffeinlieferant. Möglichst stark sollte er sein, möglichst schnell zubereitet. Und da auch seine Produktion industrialisiert wurde, war Kaffee auf einmal erschwinglich für die meisten Menschen. Der Instant tat schließlich sein Übriges als Kaffeemarkt-Ausdehner, brauchte man dazu doch noch nicht einmal einen Filter oder eine Kaffeemaschine. Kaffeebohnen verschwanden aus den Regalen, die Konsumenten ließen sich von der TV-Werbung großer Hersteller begeistern und griffen mechanisch zu den Packungen mit dem großen „J“. Das genügte als Qualitätsmerkmal für diese eher ungenießbare braune Soße.

Zum Glück bin ich selbst nicht so sozialisiert worden – meine Eltern legten damals schon (warum auch immer) viel Wert auf Geschmack, Aromen und feine Noten. Was auch in Italien der Fall zu sein schien: Hier wurden zu dieser Zeit die Espressomaschinen erfunden und nach und nach weiterentwickelt. Womit der Geschmack von Kaffee (zum Glück) wenigstens dort noch im Mittelpunkt stand.

Soweit die erste Welle, die etwa von 1930 bis 1960 rollte.

foto:
mohamed shaffaf on unsplash

Soweit die erste Welle, die etwa von 1930 bis 1960 rollte.

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Die 2nd Wave. Oder: Hilfe, die Amerikaner kommen!

Ob man will oder nicht: Starbucks hat einen großen Anteil an der Entwicklung des Kaffees beziehungsweise seines Geschmacks. Beziehungsweise des Geschmacks seiner Trinker. Anfang der 80er-Jahre schaffte Starbucks mit seinem neuen Inhaber Howard Schulz den großen internationalen Durchbruch. Man achtete auf einmal auf die Qualität der Bohnen, bereitete daraus frischen Cappuccino oder Latte Macchiato zu. Und versuchte die italienische Espressobar nachzuahmen. American Style allerdings.

So entstanden zwar auch „Kreationen“ wie Vanilla Latte oder White Chocolate Mocha, die wirkliche Kaffeeliebhaber das Fürchten lehrten. (Tatsächlich sollte es 35 Jahre dauern, bis die erste Starbucks-Filiale in Italien eröffnet wurde.) Aber Ehre, wem Ehre gebührt: Ohne die Außer-Haus-Kaffeeleute aus Seattle wären Kaffeebohnen, dunkle, opulente Röstungen und vor allem unterschiedliche Kaffees wohl eher nicht im großen Stil bei den deutschen Kaffeetrinkern angekommen. Zwar wurde es schick, beim Italiener um Ecke auch mal einen Ex(!)presso zu bestellen, aber dass es außer Filterkaffee noch andere Zubereitungsmöglichkeiten gab, das tröpfelte nur langsam ins Bewusstsein.

3rd Wave Coffee. Der Genuss ist zurück.

Und nicht nur der Genuss. Die Wahrnehmung von Kaffee änderte sich grundlegend. War bis dahin „egal“, woher der Kaffee kam, geschweige denn, wie er angebaut und geröstet wurde, standen – und stehen – auf einmal Transparenz und Qualität im Mittelpunkt. Und was soll man sagen: Auch hier haben die Amerikaner vieles in Bewegung gebracht. Kleine Kaffeeröstereien wurden cool, wurden zum verbindenden Element zwischen Produzenten und Kaffeetrinkern. Individualität und charakteristischer Geschmack wurden hip, Kaffeekocher zu Baristas und ohne eigene fancy glänzende Siebträger-Maschine ging eigentlich gar nichts mehr.

Was sich seit den 1990ern ein bisschen relativiert hat. Nach dem Technik-Siebträger-Hype steht jetzt der Kaffee selbst im Fokus. Sein Anbau, möglichst Bio oder sogar Demeter, wird transparent nachverfolgbar. Die Geschmacksbilder mit blumigen Beschreibungen von Aromen, Noten, Säuren brauchen den Vergleich mit Wein nicht zu scheuen. Es gibt Barista Challenges und Wettbewerbe, preisgekrönte Spezialisten und Spezialitäten. Zertifikate, die sicherstellen, dass die Kaffeefarmer nicht ausgebeutet werden (Fairtrade) und der biologische bzw. biodynamische Anbau immer weiter ausgebaut wird. Großartig.

Und was ist mit der vierten Welle?

Ein Blick in die Kristallkugel.

Wir haben natürlich keine Ahnung, wie die Zukunft aussieht. Aber wenn man sieht, dass der Klimawandel auch vor den Kaffee-Anbaugebieten nicht haltmacht, dass man also entweder hitzerobustere Sorten züchten oder auf höher gelegene Farmen ausweichen und sich mit weniger guten, weniger großen Ernten arrangieren muss, dann kann man sich schon vorstellen, dass unverschämt leckerer Kaffee ein Luxusgut wird. Was vielleicht aber gar nicht mal so schlecht ist. Schließlich geht es um Klasse, nicht um Masse. Haben wir den Mut dazu.